Die technologische Sinnverschiebung

Der tschechische Phänomenologe Jan Patocka hat nach Heideggers Tod von dessen “grundlegender Erfahrung” gesprochen, daß in der “Begegnung mit der Technik die ganze bisherige Philosophie problematisiert” – man könnte auch sagen: problematisch – wird. Aus dieser Erfahrung speiste sich nach Patocka Heideggers Arbeit überhaupt. Wir hätten, das sei Heideggers Überzeugung gewesen, “in der Technik etwas vor uns, das wir gedanklich noch nicht zu bewältigen vermögen. Wir müssen anfangen, anders zu denken.”


Erfahrungen wie die beschriebene, die eine Krise und Konversion des Denkens als Effekt der Technisierung erscheinen lassen, sind zentral für die mentale Verfassung des 20. Jahrhunderts. Sie sind, so die These des Vortrags, Ausdruck einer signifikanten Bewegung, die als technologische Sinnverschiebung beschrieben werden kann und die das Jahrhundert insgesamt durchzieht. Das zwanzigste Jahrhundert ist die Zeit des Um- und Andersdenkens und das Jahrhundert der techno-logischen Transformation. Dabei wird nicht nur der Sinn des Technischen, sondern mit ihm auch der Sinn der Wissenschaft, des Politischen, des Sozialen und des Ästhetischen verschoben. Der Vortrag versucht, diese große Transformation zu skizzieren, zeitgenössische Beobachtungen dieser Verschiebung zu sammeln und insbesondere dem technologisch veränderten Sinne der Wissenschaften nachzugehen.


Erich Hörl ist Juniorprofessor für Medientechnik und Medienphilosophie an der Ruhr-Universität Bochum. Er hat Philosophie in Wien und Paris studiert, war von 1998 bis 2001 Mitglied des DFG-Graduiertenkollegs “Codierung von Gewalt im medialen Wandel” an der Humboldt-Universität zu Berlin und wurde ebendort 2003 im Fach Kulturwissenschaft promoviert. Von 2004 bis 2006 war er Assistent für Technikphilosophie an der Professur für Philosophie der ETH-Zürich. Seit Herbst 2007 leitet er das internationale Bochumer Kolloquium Medienwissenschaft (bkm), das der Untersuchung der technisch-medialen Bedingung gewidmet ist. Zu seinen gegenwärtigen Forschungsschwerpunkten zählen: Die technologische Bedingung; Arbeit und Technik. Geschichte und Grenzen der ergontologischen Verfassung; Abendländischer Okularismus. Geschichte der Anschauung und das Denken des Auges; Beschreibungen des Humanen: Prothetik, Artifizialität; Heidegger und die Maschine.