Ludwig Zeller

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Kontrafaktische Dingerzählungen

 

Wir erleben eine Konjunktur des Spekulationsbegriffs in unterschiedlichen kulturellen Domänen, sei es durch eine weltweite Verunsicherung auf den Finanzmärkten, den Speculative Turn in der Philosophie oder durch ein zunehmendes Interesse an der Antizipation von soziotechnologischen Systemen durch spekulative Szenarien. Vor diesem Hintergrund konzentriert sich das Dissertationsvorhaben auf eine Untersuchung von Speculative und Critical Design (SCD) Ansätzen, welche seit Ende der 1990er Jahre diskutiert werden.

In Unterscheidung zum gängigen Zeitverständnis im Design, welches als zukunftsgewandt und daher projektiv und hervorbringend angesehen wird, widmet sich das Dissertationsvorhaben jedoch einem medienarchäologisch informierten Designbegriff, welcher sich mit einer historisch spekulativen Alternativzeit beschäftigt. Das Vorhaben konzentriert sich auf ›kontrafaktischen Dingerzählungen‹. Es handelt sich um einen Ansatz, der sich an dem in der Philosophie und den Geschichtswissenschaften bekannten Prinzip der Gedankenexperimente und des kontrafaktischen Denkens anlehnt. Diese Überlegungen finden ausgehend von verdrängten Technologieparadigmen statt und verwenden Fragestellungen im “Irrealis” anstelle des “Potentialis”. Dabei wird gefragt, wie sich diese technologischen Endpunkte weiterentwickelt hätten und mögliche Antworten darauf in Form von kontrafaktischen Szenarien zur Diskussion gestellt. Diese Gedankenexperimente sollen jedoch nicht nur mental durchgespielt, sondern in Form von spekulativen Designartefakten materialisiert werden. Mittels fingierter, jedoch plausibler, teils funktionsfähiger Designartefakte sollen alternative Geschichtsverläufe und nicht realisierte Pfade der Technikentwicklung veranschaulicht und zur Diskussion gestellt werden. Angeleitet wird der Ansatz also durch die Frage »Was wäre gewesen, wenn…?«. Kontrafaktische Dingerzählungen können somit als ein Instrument zur Dekonstruktion und Analyse gegenwärtiger soziotechnischer Systeme und darin perpetuierter Leitnarrative gesehen werden.

Konkretes Anwendungsbeispiel für die gestalterische Auslotung kontrafaktischer Dingerzählungen sind Internet- und Netzwerkprotokolle. An diesem Beispiel soll der Ansatz der kontrafaktischen Dingerzählung gestalterisch exploriert (praxisbasierte Designforschung) und für den Bereich des SCD methodisch und theoretisch systematisiert werden. Die Untersuchung von Netzwerkprotokollen arbeitet einer Kritik digitaler Medientechnologien zu und versucht, mit diesen Technologien verhaftete soziotechnologische Paradigmen durch den Entwurf ›kritischer Artefakte‹ sicht- und verhandelbar zu machen.

 

Zur Person

Ludwig Zeller ist Dozent und Wissenschaftler an den Instituten Experimentelle Design- und Medienkulturen und Visuelle Kommunikation der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel. Er studierte Audiovisuelle Medien an der Kunsthochschule für Medien Köln und fertigte bei Prof. Dr. Georg Trogemann seine Diplomarbeit zum Thema Kognitive Adapter (Projekt CubeBrowser) an. Weiterhin erhielt er einen M.A. in Design Interactions vom Royal College of Art London, wo er bei Prof. Dr. Anthony Dunne verschiedene Projekte (Serie New Needs in an Augmented World) über spekulative Informationsgesellschaften entwickelte. Neben mehrjähriger Erfahrung als Designer und Künstler kann er eine Vielzahl internationaler Ausstellungen und Publikationen ausweisen.